3 Fragen an … Dr. Eva Anslinger, Wissenschaftlerin an der Universität Bremen und Be oK Beiratsmitglied
Dr. Eva Anslinger ist Wissenschaftlerin im Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Be oK. In unserer Rubrik „Drei Fragen an…“ erklärt sie, warum wir alle manchmal in die „Klischeefalle“ tappen, aber auch – wie wichtig der Abbau beruflicher Rollenklischees für die Chancengleichheit ist.
Tappst du auch manchmal in die „Klischeefalle“? Und falls ja: In welchen Momenten ist das der Fall?
Jeder Mensch denkt in Kategorien, da sie dazu beitragen, die Welt zu ordnen. In der Regel erfolgen diese Kategorisierungen automatisch und sind im Grunde überlebenswichtig, denn nur so bleibt man im Alltag handlungsfähig. Allerdings können durch diese alltäglichen Vereinfachungen oder Kategorisierungen Vorurteile entstehen, da sie in der Regel unreflektiert bleiben. Wir vernachlässigen also differenzierte Betrachtungsweisen und neigen stattdessen dazu, erlernte Schemata oder einsozialisierte Verhaltensweisen in unsere eigenen Kategorien zu übernehmen. Hierdurch entstehen Vorurteile, die über einen längeren Zeitraum betrachtet zu Klischees werden (können), also im Grunde (gesellschaftliche) Vorurteile gegenüber Gruppen und Menschen, die bestimmte Denk- und Verhaltensschemata bestätigen oder auch irritieren.
Also ja, wir alle – und somit auch ich – tappe(n) hin und wieder in die Klischeefalle, vor allem wenn wir auf etwas stoßen, was wir nicht kennen oder so nicht erwarten, wie die Frau am Steuer eines Lkws oder der Tagesvater mit seiner Kindergruppe auf dem Spielplatz. Daher ist es wichtig, Klischees zu reflektieren, zu schauen, woher sie kommen und unsere eigenen Kategorisierungen ggf. zu revidieren, also zu verändern, anzupassen oder neu zu schreiben.
Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, Klischees im Zusammenhang mit der Berufsorientierung aufzuweichen und aufzulösen?
Die freie Berufswahl, wie wir sie in unserer westlich orientierten Gesellschaft propagieren, ist zeitgeschichtlich gesehen ein relativ neues Phänomen. Noch bis in die 1970er Jahre mussten sich Frauen von ihrem Ehemann oder Vater die Erlaubnis dazu geben lassen, eine Berufsausbildung zu absolvieren. Gleichzeitig war vielen Menschen und insbesondere Frauen das Ausüben bestimmter Berufe und Positionen überhaupt nicht möglich, da sie keinen Zugang hatten. Vor allem Frauen wurden auf die Bereiche erziehen, versorgen und pflegen verwiesen, da man annahm, dass diese Tätigkeiten am ehesten ihrem Naturell entsprechen würden. Diese bis heute wirksamen Klischees, die wir in unserer Berufswelt immer noch vorfinden, beruhen also in der Regel nicht darauf, ob jemand die Fähigkeiten dazu besitzt, eine bestimmte Tätigkeit durchzuführen, sondern welche Tätigkeiten bzw. Berufe jemanden zugestanden wurden. Daher ist es meiner Meinung nach besonders wichtig, diese sehr wirkmächtigen Klischees in der Berufswelt abzubauen, um eine wirkliche Chancengleichheit für alle herstellen zu können. Dies gelingt ausschließlich über die Reflektion der Klischees und das überschreiben von althergebrachten Vorurteilen in Bildung und Erziehung, in den Familien aber auch in Schulen und Betrieben.
Warum ist dir die Unterstützung des Projekts Be oK konkret wichtig?
Schulen benötigen bei der Berufsorientierung Unterstützung, da die bisherigen Unterrichtskonzepte eine Berufsorientierung, die über Information hinausgeht, kaum gewährleisten kann. Ich bin der Meinung, dass es daher mehr Zusammenarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Expert*innen braucht, sodass eine gute Berufsorientierung nicht länger vom sozialen Status der Eltern abhängig ist, sondern in den schulischen Curricula verankert wird und damit möglichst viele junge Menschen erreicht.
Be oK leistet für junge Schüler*innen einen wichtigen Beitrag dazu, die eigenen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken und über das Einüben reflexiver Kompetenzen zu lernen, wie ich mich selbst zu dieser noch fremden Berufswelt verhalten kann. Für mich ist es dabei zentral, dass auch die Eltern und Lehrkräfte in diesen Prozess mit einbezogen werden, denn wir wissen aus der Forschung, dass die Familie und auch vertraute Lehrkräfte einen hohen Anteil an der Berufswahl haben. Nur wenn alle an der Berufswahl beteiligten Gruppen und Institutionen eine klischeefreie Berufsorientierung ermöglichen, können Stück für Stück Klischees aufgelöst und eine freie Berufswahl ermöglicht werden.
Ich erhoffe mir langfristig, dass schulische Berufsorientierung mithilfe von Projekten wie Be oK weiter ausgebaut werden, um die Berufsorientierung an Schulen zu professionalisieren. Wichtig finde ich dabei, dass die durchführenden Teams weiterhin von außen kommen und damit neue Perspektiven eröffnen. Projekte wie Be oK sollten also fester Bestandteil an möglichst allen Schulen werden, um reflexive Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf die Berufswelt zu entwickeln.